JAHRBUCH für PÄDAGOGIK 2001 - Zukunft, Europäischer Verlag der Wissenschaften, Frankfurt am Main 2001, Seiten 489 - 491 von PROF. DR. HANS-JOCHEN GAMM, Institut für Pädagogik an der Technischen Universität Darmstadt B. Rammerstorfer: Nein statt Ja und Amen. Leopold Engleitner: Er ging einen anderen Weg In der Geschichte des Widerstandes religiöser Gruppen gegen den Faschismus haben die beiden großen christlichen Konfessionen nach der militärischen Befreiung versucht, ihre Widerständler ins öffentliche Bewusstsein zu heben. Gedenkstätten und Bildungseinrichtungen bewahren ihren Namen. Die zeitgeschichtliche Forschung blieb bemüht, ihr Wirken in die religiöse und politische Bildung einzubeziehen. Eine exemplarisch zu nennende Gestalt ist der evangelische Pfarrer Dietrich Bonhoeffer, der wenige Stunden vor der Befreiung durch amerikanische Truppen von den faschistischen Mördern noch gehenkt wurde. In ihm ist die politische und religiöse Komponente des Widerstandes einzigartig verknüpft. Zwei andere durch die faschistischen Machthaber bekämpfte Gruppen haben es dagegen schwer, im öffentlichen Bewusstsein nachträglich als Opfer anerkannt zu werden, weil ihnen sozusagen ein ziviler Makel weiterhin anhaftet. Unabhängig nämlich von ihrem Schicksal zwischen 1933 und 1945 gelten die einen für das primitive Verständnis als Tagediebe und als "rassisch minderwertig, nämlich Roma und Sinti, meist noch Zigeuner genannt. Beschämend ist, dass die politischen Parteien bestrebt blieben, ihr Andenken als Opfer keinesfalls mit der jüdischen Gedenkstätte im Zentrum der Bundeshauptstadt in Verbindung zu bringen, sondern an die Berliner Peripherie zu verweisen. Bei der anderen Gruppe handelt es sich um die Zeugen Jehovas. Sie werden vom bürgerlichen Berührungsempfinden weiterhin als aufdringlich wahrgenommen, weil sie Menschen auf der Straße ansprechen oder an Wohnungstüren schellen, um ihnen ihr Verständnis vom Königreich Gottes zu erläutern. Da für die spätbürgerliche Zivilisation jede öffentliche Erinnerung an den früher selbstverständlichen Zusammenhang mit Gott peinlich ist, haftet ihnen der Geruch unliebsamer Distanzlosigkeit an. Mit dem Österreicher Leopold Engleitner, von Beruf lebenslang Knecht, wird uns ein Zeuge Jehovas durch Bernhard Rammerstorfer vorgestellt. Der Verfasser zeichnet aus vielen Gesprächen mit dem alten Mann dessen außergewöhnliches Schicksal nach, vergleicht es mit den zeitgeschichtlichen Dokumenten und legt eine in jeder Hinsicht hochinformative Schrift vor. Präzise ist die soziale Atmosphäre in den oberösterreichischen Dörfern im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts gekennzeichnet: eine streng vom Klerus überwachte Bevölkerung, die sich nur auf den von weltlicher und geistlicher Obrigkeit gebilligten Denk- und Empfindungsbahnen bewegte. Sie war um gesellschaftliche Bildung jedenfalls unter emanzipatorischem Anspruch betrogen worden. So grenzte sie fast alles automatisch aus, was befremdlich anmutete; es erzeugte Angst und wurde darum der Obrigkeit denunziert. Ein simpler Verfolgungszusammenhang war längst eingeübt, bevor er sich für das staatspolitischen Gefüge des Hitlerreichs universell gestaltete. Engleitner, gläubiger Katholik wie fast alle in der ländlichen Unterschicht, trat 1932 aus der Kirche aus und ließ sich als Zeuge Jehovas taufen. In einem Akt der Bekehrung hatte er den für ihn fortan unumstößlich gültigen Gott und dessen Sohn Jesus als heimlichen König der Welt erkannt und begann diese Erkenntnis zu bezeugen, wie es den biblischen Jüngern aufgetragen war. Der kleine schüchterne Mann mit der verkrümmten Wirbelsäule offenbarte sich in den Dörfern, legte dabei zu Fuß oder mit dem Fahrrad unglaubliche Wegstrecken zurück und übte daneben seine schwere körperliche Arbeit aus. Er predigte fortan, dass einzig in der Erkenntnis Gottes Freiheit liege und der Gläubige aus dem göttlichen Kraftzentrum leben könne. Dazu bedürfe es vor allem eines gründlichen Studiums der Bibel. Eine solche Stimme wirkte unter der alles umspannenden katholischen Kirche unerhört, war Affront gegen die geweihte Priesterschaft, verwirrte auch das untere Beamtentum, mit dem es die Menschen beim Besuch von Behöreden und Ämtern zu tun haben. Seit dem Zerfall des Vielvölkerstaats Österreich-Ungarn 1918, in dem eine apostolische Majestät Thron und Altar symbolisch verbunden hatte, war durch den Friedensvertrag von St. Germain 1919 eine neue Verfassung wirksam geworden. Die erste republikanische Phase Österreichs hatte begonnen: es herrschte Religionsfreiheit, nur wusste es kaum jemand, und die Katholische Kirche war nicht bereit, die Liberalität zu dulden. Der Landarbeiter Leopold Engleitner hatte sich aber einschlägige Kenntnisse beschafft und argumentierte damit, sobald die Gendarmen ihn wegen "Hausiererei oder Gefährdung der öffentlichen Sicherheit arretierten, und so musste dieser Bekenner, der seine Druckschriften, Mahnblätter und Bibelausgaben an Interessierte verteilte, strenge Verhöre bestehen, Verhöhnung ertragen, Strafen absitzen. Gelegentlich geriet sein Fall in die höchste Instanz und der österreichische Bundespräsident erließ ein Begnadigungsdekret. Es handelte sich um eine Welt voller Unkenntnis und Unbeweglichkeit, Kafkas Impressionen galten. Hitlers Truppen besetzten 1938 Österreich, das Großdeutsche Reich war hergestellt und der Führer wurde von unzähligen Wienern mit frenetischem Beifall empfangen; der faschistische Mob in der österreichischen Hauptstadt ließ sogleich die Juden mit Zahnbürsten die Bürgersteige säubern. Nun begann für Engleitner die Zeit, in der sich zeigen musste, ob durch intensives Gebetsleben und Zeugenschaft für Gott die Kräfte wuchsen. In einer verachteten und gleichzeitig als staatsgefährlich geltenden Sekte war standzuhalten: einer gegen alle, sogar gegen die eigenen Eltern, die es dem Sohn nie verziehen, dass er die Heilige römische Kirche und sie damit in der dörflichen Umgebung selbst bloßstellte. Engleitner schloss keine Kompromisse mit dem Regime, was die katholischen Bischöfe vielfältig taten. Er sagte nicht Heil Hitler, weil Heil einzig die Qualität Gottes sei. Er predigte heimlich weiter, verteilte Druckschriften und bezeugte seinen unerschütterlichen Glauben. Die Gestapo forderte ihn zum Verhör. Und weil er bekannte, Gott mehr als den Menschen gehorchen zu müssen, wurde er nach Zwischenaufenthalten in österreichischen Gefängnissen 1939 ins KZ Buchenwald transportiert, später in die Lager Niederhagen und Ravensbrück eingeliefert. Als Zeuge Jehovas blieb er strikter Kriegsdienstverweigerer, wurde aber immer wieder darauf verwiesen, dass ein schriftlicher Widerruf genüge, ihn aus dem KZ zu entlassen. Unbeschreiblich waren die Torturen, die er durchleiden musste, aber er erkannte auch, dass diese kleine Menschengruppe seiner Mitbrüder für die Nazis so wichtig war, dass sie ihr ein eigenes Zeichen den violetten Winkel vorschrieben. Die Geschichte der Zeugen Jehovas innerhalb des KZ-Systems bietet eine absolute Ausnahme gegenüber der normalen Reaktion, Vergeltung für erlittenes Unrecht zu fordern. Die Zeugen Jehovas schlossen die Peiniger in ihre Fürbitte ein. Die als arbeitsam und fluchtsicher geltenden Bibelforscher passten aber auch in die Pläne Heinrich Himmlers: sie ließen sich für Kommandos nutzen, bei denen nur wenig Wachpersonal zur Verfügung stand (S. 140). Nach dem Endsieg schwebte Himmler sogar vor, die Bibelforscher als Missionare zu gebrauchen, um die unterworfenen Russen zu pazifisieren, wie er 1944 an seinen Mittäter Ernst Kaltenbrunner schrieb (S. 214 f.). Bernhard Rammerstorfer, dem Chronisten Leopold Engleitners, ist es gelungen, innerhalb der bereits kaum übersehbaren Literatur zum System der deutschen Konzentrationslager eine Stimme vernehmlich zu machen, die mit ausschließlicher Bezogenheit auf Gott die furchtbarsten Entwürdigungen des Menschen durchlebte, nicht gewalttätig reagierte, wo sich dazu Gelegenheit bot, Rachehandlungen ablehnte und Mitleid mit denen hatte, die ihren Sadismus walten ließen. Hier ist eine Kraft gekennzeichnet, die als gesellschaftliches Gestaltungsprinzip innerhalb der Geschichte noch niemals großflächige Wirkung zeigte. Darum ergeben sich aus dem Buch anthropologische und sozialpsychologische Probleme, die anhaltendes Nachdenken verdienen. Zudem bleibt es ein wichtiger Beitrag zur Geschichte jener Gruppe, die als einzige im Faschismus kompromisslos jede Betätigung mit der Waffe ablehnte.
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Verordnungsblatt des Landesschulrates für Oberösterreich Stück 11/2001, Seite 7, vom 31. 5. 2001 REZENSION: NEIN STATT JA UND AMEN! von ULRIKE SCHACHERREITER Bernhard Rammerstorfer: Nein statt Ja und Amen! Leopold Engleitner: Er ging einen anderen Weg. Eigenverlag, Bernhard Rammerstorfer, Golfplatzstr. 22, 4048 Puchenau,1999 "Ihr Lieben"! Bin gesund und tapfer. Auf Wiedersehen! Euer Leopold." Diese Worte schrieb Leopold Engleitner monatlich aus dem
Konzentrationslager Buchenwald nach Hause. Mit den Briefen, die zensuriert
und limitiert wurden, gab er den "indiskreten Lesern zu verstehen,
dass er keine Schwäche zeigte und fest entschlossen war weiterhin
standhaft zu bleiben" (S.136)
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Österreichisches Bibliothekswerk – das forum katholischer Bibliotheken von Susanne Emerich Rammerstorfer, Bernhard: Rezension: Leopold Engleitner verweigert aus religiöser Überzeugung den Kriegsdienst und wird im Oktober 1939 ins Konzentrationslager Buchenwald deportiert. Nach Buchenwald folgen im März 1941 die Deportationen ins KZ Niederhagen und 1943 ins KZ Ravensbrück. In ausführlichen Kapiteln berichtet er über den Alltag in den Konzentrationslagern, es werden schonungslos Täter genannt und ihre brutalen Übergriffe beschrieben. Man erfährt aber auch von Menschlichem im Unmenschlichen: Hilfestellung unter eigener Lebensgefahr, Befehlsverweigerung zugunsten von einem Häftling, Wegsehen unter Verzicht auf den eigenen Vorteil. Die letzten Kapitel beinhalten die überraschende Entlassung aus dem KZ Ravensbrück, die Zwangsarbeit auf einem Bauernhof, einen neuerlichen Einberufungsbefehl und die abenteuerliche Flucht Engleitners ins Gebirge vor den Nazis bis zum Kriegsende. Wichtige private Stationen bis zur Gegenwart und ein Interview des Autors Bernhard Rammerstorfer mit Leopold Engleitner schließen die Lebensbeschreibung ab. |
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aktualisiert am 10. 1. 2017 |